Tagebuch aus Wurzerlsgarten, Oktober 25

Herbstschmuck in Wurzerlsgarten

Tagebucheintrag 01.10.2025 – “So wird man zum gefallenen Mädchen”

Es ist sicher 62 Jahre her, dass ich in den Schulferien, die ich häufig in meinem Geburtsort im Pfaffenwinkel verbrachte, ins Moor-Schwimmbad ging. Es waren meine ersten Ferien ohne Zahnspange! Jung, dumm, unbekümmert und gedankenlos rannten wir um das große Schwimmbecken herum. Dann rutschte ich auf einer moorigen, glitschigen Steinplatte aus und stürzte. Ich fiel direkt in den Eingang der Wasserwacht. Sie hatten sich wohl gelangweilt, jedenfalls wurde ich von Drei gleichzeitig verarztet und der Vierte meinte bedauernd, schade, Dein Zahn wird eine Krone brauchen. Bei dem Gedanken, was meine Eltern, die für die teure Zahnspange jahrelang gezahlt hatten, sagen würden, bekam ich einen ziemlich heißen Kopf.

Nun, diesmal fiel ich nicht in das Büro der Wasserwacht, ich stürzte am Eingang des Allianz-Versicherungsbüros über eine Unebenheit im Fußweg. Da ich inzwischen meine Zähne selbst bezahlen muss, bin ich diesmal geistesgegenwärtig auf beiden Händen gelandet. Damit ist der Gartenmonat Oktober arbeitstechnisch erledigt. Ich kann gerade weder Autofahren noch mit der Hand schreiben (links geht wenigstens tippen), noch Gegenstände tragen. Wie ein Filmstar lasse ich mich einmal die Woche zum Einkaufen fahren, zeige auf die Dinge, die ich brauche, um nicht zu verhungern und stelle mich dann beim Zahlen auch noch so an, als wäre eine Daumenorthose so etwas ähnliches wie Handschellen. Ich möchte wirklich nicht wie ein Filmstar leben, muss aber laut Arzt mit mindestens drei Wochen Schmerzen und Beeinträchtigung rechnen. Heul, ich will in den Garten!

Tagebucheintrag 07.10.2025 – “Das “Oktoberle” lächelt penetrant weiter”

Nach einer Woche mache mich schon ganz gut als mutierter Zwangslinkshänder. Es passt, dass draußen nicht viel zu tun ist. Ich bin, was den Garten betrifft, ein eingeschworener Frühjahrsräumer. Meine Herbstdekoration ist schon seit Ende September fertig. Darum lächelt das “Oktoberle” immer ermutigend von der Terrasse in die Bibliothek herein. Sobald ich aber entnervt aufhören will am Laptop zu schreiben, wird das Lächeln immer penetranter, so nach dem Motto: “Na komm schon, mit der Arthrose hast Du doch auch immer, frei nach dem Motto: “Indianer kennt keinen Schmerz”, in die Tasten gehauen”. Blöde Mini-Vogelscheuche!

Das Septemberle in Wurzerlsgarten

Das “Oktoberle” lächelt unbeeindruckt weiter zur Terrassentüre herein und ich halte ihr demonstrativ meine lädierte Rechte hin. Da fällt mir mein erster Hund “Burli” ein. Eigentlich hieß mein Pointer ja “Bubu de Niro”, aber ich frage Dich liebes Tagebuch, was glaubst Du, hätten die Sonntagsspaziergänger von mir gehalten, wenn ich am Acker laut Bubu de Niro gebrüllt hätte? Burli klang zumindest in der ersten Silbe genauso, wie sein ursprünglicher Name. Ob der Entenjagdhund besser auf mich gehört hätte, wenn ich ihm jedes Mal seinen kompletten Namen nachgerufen hätte? Ich fürchte nicht, denn bis ich mit dem Aussprechen fertig gewesen wäre, war er längst über alle Moränen. Was hat jetzt der Hund mit meiner verletzten rechten Hand zu tun? Ganz einfach, wenn sich mein “Burli” verletzt hatte, hielt er mir immer die lädierte Pfote hin, guckte leidend und bekam natürlich ein Trösterchen. Wenn der Schmerz vergessen war, hielt er mir oft die falsche Pfote hin. Na ja, zwei bis dreimal bin ich schon darauf reingefallen. Eigentlich finde ich es doof und total überflüssig, ein “gefallenes (spätes) Mädchen” zu sein, aber mit über 70 Jahren erst zweimal auf der Geraden hingefallen zu sein, ist doch ein brauchbarer Schnitt, oder?

Tagebucheintrag 11.10.2025 – “Der Garten glüht auf”

Das erste Drittel des Oktobers ist um. Die Daumenorthese ist Klasse, aber nur, wenn ich die rechte Hand gar nicht brauche. Zum Tippen ist sie unpraktisch und zum Fotografieren unbrauchbar, also trage ich sie nur stundenweise, wenn das Handgelenk zu sehr tobt. Die linke Hand ist fast schmerzfrei und nach trüben Tagen scheint heute die Vormittagssonne mild in den Garten. Ich nehme den Foto und versuche wieder einmal einige Bilder im Garten zu machen.

Sofort greifen die Pfaffenhütchen, Euonymus alatus und europaeus, die Zierkirschen Prunus serrulata ‘Kiku-shidare-sakura’, Prunus incisa ‘Kojou-no-mai’ und Prunus serrulata ‘Amanogawa’ zusammen mit der feuerroten, elegant hängenden “Blattboa”, Parthenocissus quinquefolia, die auch Wilder Wein heißt, zum Schminkkasten, um mich mit einer Sonderauflage Rouge zu beeindrucken. Die beiden großen Birken erblassen vor Neid gelblich, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass ich sie genauso liebe, wie die rotgefärbten Gehölze. Ich vergesse in den Vorgarten zu gehen, dort glühen die kleinen japanischen Ahorne und versuchen dabei, das Gold des wunderbar verfärbten Ginkgos zu übertrumpfen.

Tagebucheintrag 14.10.2025 – “Meine neuen Favoriten”

Garten ist etwas wunderbares, ich kenne kein besseres Ablenkungsmanöver, wenn man am Vormittag seinen lädierten Körper neu durchsortiert hat, sich spontan für eine Erhöhung der Schmerzgrenze entscheidet und… ja und in den Garten geht, um auf andere Gedanken zu kommen.

Rudbeckia fulgida var. sullivantii 'Goldstar' in Wurzerlsgarten

Tatsächlich reicht es nicht, einfach hinauszugehen und bei jedem Schritt in sich hineinzulauschen. Also konzentriere ich mich auf das rotgoldene Blätterrauschen oben und das Rascheln von Herabgefallenem auf dem Weg unten und schaue, was meine Neuzugänge so machen. Rudbeckia fulgida var. sullivantii ‘Little Goldstar’ bleibt kleiner und ist kompakter als R. ‘Goldsturm’, so wurde es mir versichert und so ist es auch. ‘Little Goldstar’ ist in der Mitte des rechten Beetes etwas hinter hohen Persicarias und Astern versteckt. Aber, da ist daneben meine kleine Nandina. Sie hat noch nicht wirklich an Höhe zugelegt. Für sie ist es ein Segen, dass die Rudbeckie eine überschaubare Endhöhe hat. Also doch alles richtig gemacht.

Vitex 'Flip Side', Wurzerlsgarten

Vitex ‘Flip Side’, den Mönchspfeffer, habe ich in meiner alten Lieblingsgärtnerei im Münchner Osten gekauft. Man stelle sich vor, etwa 50 große Verkaufstische, prall gefüllt mit herbstblühenden Stauden und Gräsern, dahinter die Gehölze direkt auf dem Boden und gefühlt sind alle 100 Honigbienen auf dem einen Verkaufstisch, auf dem 5 Mönchspfefferpflanzen stehen. Ich habe extra aufgepasst, dass ich keine versehentlich mit dem Objekt meiner Begierde mit ins Auto nehme und versichere, ich selbst bin weder eine “Biene” noch “flott”.

Tagebucheintrag 17.10.2025 – “Wer nicht arbeitet, muss doppelt so gut planen”.

Es ist nicht der Sinn eines Tagebuches, täglich ein ärztliches Bulletin zu veröffentlichen. Darum verkneife ich mir Bemerkungen in der Art, wie: “So wie meine rechte Hand langsam schmerzfreier wird, so beginnen die Schmerzen im linken Knie zuzunehmen.” Ok, ich muss zur Kenntnis nehmen, dass die Arthrose im Kniebereich wohl einen starken Schub gemacht hat. Aber darum geht es ja gar nicht, es geht um meinen Garten.

Mein lieber Neffe, der Sebi war heute da. Ich hatte ihn mit mehreren Stichworten zu mir gelockt. Bei Bachlauf abstellen und Hibiskus in den Wintergarten tragen, fühlte er sich zeitlich noch nicht betroffen. “Mitte November reicht, so lange habe ich noch Gartenbaustellen und kann keinen Frost gebrauchen”, so seine klare Ansage. Die Reparatur des Hüttendachs und das Streichen der Holzbalken auf der Terrasse habe ich eigentlich erst 2026 gesehen, mein Neffe ist ein sehr gefragter Gartenplaner, der zeitlich sehr eng getaktet arbeitet. Als ich jedoch murmelnd erwähne, dass mein Teich verlandet, da ist er am nächsten Morgen da. Nun hat sich alles umgekehrt, das Hüttendach wird noch vor dem Winter repariert und den Teich sanieren wir einschließlich der Wiederherstellung der Kapillarsperre im nächsten Jahr, sobald es uns von den Libellenlarven und Bergmolchen gestattet wird.

Tagebucheintrag 31.10.2025 – “Hurra, was für ein Herbst, liebes Tagebuch, das Leben kann so schön sein!”

Das Wetter ist ein andauerndes Auf und Ab der Gefühle. Ich muss zugeben, ich liebe diese kürzer werdenden Tage, mit den immer seltener aufreißenden Wolkenlücken, dem Wind und dem Regen. Die Voraussagen der Nachttemperaturen machen mich ab und zu etwas nervös. Meine Strelitzie kann zwar tatsächlich bis zur Frostgrenze draußen stehen bleiben, das tut sie ja auch in der Natur am Fuße des Teide in Teneriffa, aber meine drei exotischen Hibiskus sollten eigentlich bei etwa 10 Grad in den Wintergarten umziehen.

Farblich schwelge ich von Mitte bis Ende Oktober im Farbenrausch. Die letzten Rosenblüten feiere ich jetzt einzeln. Die bunten Herbstfarben der Gehölze sauge ich ein, weil langsam schon mehr Blätter auf der Erde liegen als sich noch auf den Ästen festhalten. Ich sammle wie jeden Oktober schöne Ginkgoblätter vom Boden auf, die ledrigen Goldblätter halten in meiner Schale in der Küche bis zur Sammelaktion im kommenden Oktober. Der Höhepunkt in meinem Farbenrausch ist das Erscheinen meiner heißgeliebten blauen, orangefädigen Herbstkrokusse, Crocus speciosus ‘Artabir’. Ihr Kommen begeistert mich jedes Jahr aufs Neue. Absichtlich habe ich sie für meinen Garten ausgewählt und mich gegen den Safrankrokus, Crocus sativus entschieden, der in der Farbe eher einer Herbstzeitlose gleicht. Sobald die Sonne sich durch das Himmelsgrau kämpft, leuchtet das Blau in den Beeten und der Wiese auf. Was für ein letzter Höhepunkt, was für ein Anblick. “Ach liebes Tagebuch, das Leben kann so schön sein?”

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