Meine Weihnachtsgeschichte beginnt Ostern! Ich hatte als Kind die Angewohnheit, alles Süße, was ich geschenkt bekam, sofort in meinen Magen zu befördern. Irgendwann trugen die liebevollen Ermahnungen von Mama Früchte, doch nicht immer alles sofort in mich hineinzustopfen, sondern mich wenigstens ein paar Tage an Schokohasen und anderem zu erfreuen und die Vorfreude auf das Naschen zu verlängern. Meine Riesen-Hasen und Schoko-Nikoläuse kamen also auf mein Bücherbord, wo anstatt Lesestoff Steiff-Tiere und nun dazwischen auch Schokoladen-Figuren standen.
Leider wurde die kurz erfolgreiche Belehrung meiner Mutter untergraben – von einer Maus! Sie schlich sich durch die Terrassentüre ins Haus, krabbelte an der Treppen-Umrandung nach oben in das erste Zimmer – nämlich meines – und ganz hinterhältig fraß sie sich unbemerkt von hinten durch das Stanniol in die köstliche Osterhasen-Schokolade. Das befreite mein Bord automatisch für immer von ungegessenen Schokolade-Figuren, ich hatte Karl May entdeckt und es war sowieso kaum mehr Platz für anderes als Bücher.
Von diesem Moment an gab es für mich kein Halten mehr, Schokohasen und Nikoläuse wurden schneller gegessen, als bewundert. Wenn ich meinen jährlichen Schokoladen-Adventskalender von Mama überreicht bekam, mit dem Hinweis, dass, wenn ich jeden Tag ein Türchen öffne, beim letzten Türchen Weihnachten sei, dann erwartete ich, wenn ich alles gleich aß, dass vielleicht schon am 2. Dezember Weihnachten sei? Gut, es pendelte sich ein, ich wusste ja irgendwann, dass es immer erst der 24. Tag sei.
Ich war schon lange berufstätig, aber den Adventkalender bekam ich immer noch. Dabei war ich so “busy”, dass ich oft tagelang vergaß zu öffnen und dann wieder eine ganze Woche die Schokolade verfrüht plünderte, aber es gehörte einfach dazu und gab ein wohliges Gefühl, wenn er einfach jedes Jahr dastand. Dann kam das erste Weihnachten ohne Mama und ohne Adventkalender!
Sie war im Sommer gegangen und ich versuchte so weit es ging, meinem Papa seine Situation ein wenig zu erleichtern. Wie es tatsächlich ist, wenn das Haus nach jahrzehntelanger Gemeinschaft plötzlich leer ist, das erfuhr ich erst 9 Jahre später. Mein Papa hatte über 40 Jahre lang für Mama zu Weihnachten einen Christbaum mit weißen Kerzen und Silberkugeln und Lametta geschmückt. Es war immer ihr einziger Weihnachts-Wunsch. So wie bei mir der unausgesprochene Wunsch nach dem Adventkalender. Für sich alleine wollte mein Papa keinen Christbaum mehr im Haus aufstellen. Also fuhren wir am 1. Dezember auf den Friedhof und stellten Mama ein kleines Bäumchen mit Silberkugeln und Lametta aufs Grab.
Als ich nach Hause kam, hatte mein Mann für mich einen Adventkalender mit Schokolade besorgt. Ich war glücklich, soweit das in diesem Advent möglich war und genoss täglich eine Praline in Gedanken an Mama und in Dankbarkeit meinen Mann zu haben.
Dann ging Jahre später auch mein Mann Ende Oktober und es war ein schreckliches Weihnachten. Es war nur Trauer und die Sorge um den hoch dementen Papa, der im Haus war und gar nicht verstand, wo mein Pips plötzlich abgeblieben war.
Als mein Papa ein paar Monate später auch gestorben war, da fragte mich eine Freundin nach der Beerdigung, wie es mir denn jetzt ginge. Ich antwortete: ” Seit Dezember geht es mir schlecht. Ich habe das erste Mal in meinem Leben keinen Adventkalender mehr bekommen. Das war der Moment, wo ich verstanden habe, dass ich ab jetzt völlig alleine bin.”
Das Jahr verging erdrückend langsam, weil ich so deprimiert und gelähmt war. Aber am 30. November änderte sich vieles. Es klingelte, meine Freundin, die ich seit der Beerdigung nicht mehr gesehen hatte, stand mit einer Flasche Wein und einem Schokoladen-Adventkalender vor der Tür und fragte, ob ich Zeit und Lust auf ein Glas Wein hätte. Sie zauberte auch noch ein Päckchen Weihnachtsplätzchen aus der Tasche, fand eine Kerze zum Anzünden und wir redeten über Gott und die Welt und es wurde plötzlich ein paar Grad wärmer im Haus. Sie hat das übrigens bis heute beibehalten und kommt jedes Jahr Ende November mit einem Schokoladen-Adventkalender zu mir.
Auf jeden Fall ging ich am nächsten Tag in den Speicher und packte die Weihnachtskrippe aus und begann das Haus wieder zu schmücken. Ich war nicht allein, ich hatte jeden Tag mein Stückchen Schokolade, das mich daran erinnerte, dass sich Liebe zwar verändert zeigen kann, aber immer bei mir bleibt, wenn ich es denn zulasse.
Dieses Jahr ist bei sehr vielen von Euch ebenfalls alles anders wie “eingefahren” gewohnt. Wir sprechen verächtlich von dem Corona-Jahr, das jedem angeblich soooo viel gestohlen hat! Ja, Vielen hat es das tatsächlich, es hat Menschenleben gestohlen und vielen den Urlaub, gemeinsame Feiern und Unternehmungen. Aber war es nicht auch eine Chance? Wer sich zurück erinnert an die Weihnachtszeit seiner Kindheit und die Unterschiede zu den heutigen Festen, kann der nicht in den Abstrichen, die es dieses Jahr zu machen gilt auch einfach wieder seinen Lieben näher rücken? Wer das Gefühl des Zaubers der Adventszeit erleben durfte und seit langem nur noch in der Alltagshetze von Beruf, Haushalt, Familie und Konsum zermürbt wurde, kann der in diesem Jahr nicht eine Chance sehen aus seiner Routine zu kommen und etwas Ruhe und damit wieder ein Stück weit zu sich selbst zu finden?
Ja, es wird für Alle ein etwas anderes Weihnachten! Aber wer die Augen und das Herz öffnet, der wird vielleicht auch spüren: dass sich zwar Liebe verändert zeigen kann, sie aber immer bei einem bleibt, man muss sie nur zulassen.
16 Kommentare
Danke für deine Weihnachtsgeschichte… Mir hat dieses Jahr geholfen… Es hat mich ein Stück befreit… Ich habe einiges entdeckt von den ich nicht wusste, dass es in mir schlummert… Uns ich sehe zuversichtlich in das Jahr 2021 mit allen Höhen und sicherlich Tiefen… Frohe Weihnachten wünsche ich von Herzen…
Liebe Karin, das ist wunderbar! Mir erging es in Ansätzen ähnlich. Ich möchte dieses Jahr nicht missen. Es hat mir Zeit geschenkt, viel Zeit, ich musste nichts in mir entdecken, ich kannte mich, aber ich habe mir endlich erlaubt, nicht nach rechts und links zu schauen, ob mich gerade jemand braucht, sondern ich habe einfach das gemacht, was mir Freude bereitet. Zuversicht wird das wichtigste sein, was uns in das nächste Jahr begleiten wird und so wünsche ich Dir Zuversicht, Optimismus und innerliche Freude an Dir und Deinem Schaffen. Auch Euch ein frohes Fest und bleibt gesund. Wurzerl
Liebe Renate. Danke für diese Zeilen, die mich auch in meine Kindheit versetzt haben und mich den Zauber der Erwartung. Und Freude wieder spüren ließ . Es ist dieses Jahr anders aber die Menschen sind ein wenig mehr zusammengerückt und sensibler geworden – so habe ich es erlebt und das ist doch wunderbar
Hab eine gute Zeit. Alles Liebe Ich freue mich sehr Dich kennengelernt zu haben
Liebe Christa. Nehmen wir die Erwartung und Freude einfach mit in das kommende Jahr. Menschen die in ihrem kleinen Mini-Universum dieses Jahr gelernt haben zusammenzurücken, werden das für den Rest ihres Lebens nicht mehr verlieren. Was für ein Gewinn! Diejenigen die gegenteilige Erfahrungen gemacht haben, werden es schwer haben, denn diese Erfahrungen hätten sie auch ohne dieses Jahr machen müssen.
Ich freue mich auch sehr, dass wir uns über den Weg gelaufen sind und hoffe, dass wir noch viele Gärten zusammen unsicher machen können.
Genieße den Zauber zwischen den Jahren und bleib gesund. Wurzerl
Liebe Renate,
Danke für diese Zeilen und den kleinen Einblick in Dein Leben. Im ersten Teil kamen mir ein paar Tränen denn ich vermisse auch schmerzlich meine halbe Familie. Da ist Weihnachten 2005 für meine Tochter und mich ausgefallen.
Mit der Zeit besinnt man sich jedoch, dass alles in einem ruht und Liebe sich verändert, sie aber immer bleibt wenn man es nur zulässt.
Dieses Jahr hat unser Urlaub nur tageweise in kurzen Ausflügen statt gefunden und wir haben unser Häuschen und unseren Garten schön gemacht, was wahrscheinlich ohne diese Situationen nich so passiert wäre. Also hatte es auch was Gutes gehabt.
Bleib schön gesund, so herzlich und offen. Schreibe weiter so schöne Geschichten und bereichere ein paar Minuten mein Leben damit.
Fühl Dich umarmt unbekannter Weise.
Ein schönes Weihnachtsfest und guten Rutsch ins 2021.
Ganz liebe Grüße von Steffi
Liebe Steffi, wenn die Liebe bleibt, dann ist alles gut! Eure Aktivitäten in Haus und Garten haben dieses Jahr sinnvoll ausgefüllt. Haus und Garten muss immer unsere Freude sein und ein Wohlfühl-Anker – wir verbringen da die meiste Zeit unseres Lebens. Es ist naheliegend, dass uns das erst dann bewusst wird, wenn wir auch den Großteil unseres Urlaubs da verbringen, wo wir “zuhause” sind.
Mir wurde dieses Jahr schmerzlich bewusst, wie vieles ich gar nicht mehr so einfach mit meiner Arthrose in Haus und Garten bewältigen kann. Die Äste, die ich noch schneiden kann, werden zu Grashalmen, die ich noch bewältige, weil Scheren, Stifte, Pinsel usw. nicht mehr wirklich in meiner Hand funktionieren. Da war für mich das Gartenreisen schon immer praktisch, wenn es schlimm im Garten aussah, weil ich ja keine Zeit gehabt habe. Nun, ich habe die Zeit also anders genützt und meine Website hier begonnen, die mir viel Freude macht.
Liebe Steffi, bleib wie Du bist und hab ein frohes Fest und schau nach vorne und bleib gesund. Glück und Freude für 2021 wünscht Dir Wurzerl
Schöne Erinnerungen…und genau das ist es, was uns das Jahr gebracht hat: Zeit für sich, die eigenen Belange, die kleine Familie und Kontakte mit Menschen, die einem wichtig sind, sei es in telefonischer oder schriftlicher Form…ein frohes Weihnachtsfest, liebe Renate
Es ist jeder ein Gewinner, der dieses Fazit für sich und seine kleine Umgebung in diesem Jahr ziehen konnte. Ich schaue täglich in den Garten hinaus zu Reinhards schöner Kunst hinten im Rosenrondell. Diesen Winter wird die Skulptur dort bleiben, ich möchte jeden Tag in den Wintergarten gehen und hinterschauen oder auch hintergehen, wenn ich sowieso raus will. Ich möchte sie mit dem Herzen anschauen. Die Gewohnheit letzten Winter, dass sie immer vor meinen Augen war, wenn ich vom Schreibtisch hochblickte, war nicht intelligent. Gewohnheit ist Routine – Routine ist nur gut für wichtige Belange in Beruf und im Alltag. Alles was mit dem Herzen und der Seele zu tun hat, darf nie in Routine erstarren.
Ich werde mich freuen, Euch in anderen Zeiten wiederzutreffen. Lasst es Euch gut gehen und passt bitte gut auf Euch auf. Ihr bewirkt viel Gutes in der Gartenszene in Eurer Ecke. Herzlichst Wurzerl
Liebe Renate, deine Geschichte hat mir Tränen in die Augen getrieben, weil ich sie auch schon in Teilen von dir persönlich kannte. In vielen Ecken finde ich mich wieder, wir verabschieden uns allmählich von Papa und das Weihnachtsfest ist dieses Jahr nicht mehr das,was es war. Deshalb habe ich mich freiwillig zum Dienst gemeldet. Wir werden mit den Kindern, die nicht nach Hause dürfen, Waffeln mit Puderzucker backen , um ihnen ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich drück dich und freue mich sehr auf ein Wiedersehen
Liebe Ulrike, genau, es gibt nichts schlechtes, dem man nicht in irgendeiner Weise positiv entgegensteuern kann. Du bist eine tolle Steuerfrau, bleib so. Ich freue mich auch auf ein Wiedersehen. Wurzerl
Mir kamen die Tränen. Deine Geschichte hat mich sehr berührt. Wie dankbar kann ich sein, meine hochbetagte Mutter noch gesund bei mir zu haben und auf fast 50 gemeinsame Ehejahre zurückschauen zu dürfen. Mir ist bewusst geworden, welch Geschenk das ist.
Corona hat uns dazu gebracht, endlich unser Geschäft aufzugeben und loszulassen. Ich glaube, das war nicht nur bei uns so: loslassen können, Abstand zu gewinnen. Nach dem physischen dann auch den seelisch-geistigen.
Ich wünsche dir frohe und entspannte Festtage. Liebe Grüße Christiane
Liebe Christiane, loslassen, ja das ist es eigentlich, was Menschen, die wir im ersten Moment verloren glauben oder auch Beruf ohne den wir nicht sein wollen, zu uns zurückbringt. Der Job ist plötzlich keine Belastung mehr (man verdrängt das lange) und man kann auf seine Erfolge in Ruhe zurückblicken und die Menschen die wir lieben verlieren wir sowieso nie ganz. Solange sie in unserem Herzen und Bewusstsein bleiben, solange verlassen sie uns auch nicht. Ich wünsche Dir eine schöne Zeit im Kreise Deiner Lieben. Wurzerl
Liebe Renate, das ist eine wunderschöne und besinnliche Geschichte, die einen aber auch teilweise zu Tränen rührt. Da ich eigendlich gerne zu Hause bin, störte mich das nicht ausgehen und feiern dürfen nicht so sehr. Nur leider konnte man auch keine Freunde sehen und umarmen, das war natürlich schade. Aber für mich war ein Weihnachten das schlimmste, als mein Vater ganz plötzlich sechs Wochen vorher verstarb. Aber das ist jetzt auch schon viele Jahre her. Jetzt hofft man nur auf Gesundheit, und das sich alles wieder zum Guten wendet. Ich wünsche Dir ein schönes Weihnachtsfest und mache mit Deinen Geschichten weiter. Sie sind alle so schön, und ich warte immer schon voller Spannung auf die Nächte!
Liebe Erika, ja Freunde nur mit den Augen umarmen zu dürfen kann und muss man jetzt lernen. Für uns Erwachsene ist es kein Problem, wir sind vom Verstand regiert und leiden vom Gefühl, aber wissen, dass es vorübergeht. Um die Kleinen muss man besorgt sein, sie brauchen direkte Umarmungen und ich stelle es mir schlimm vor, wenn Großeltern sich jetzt zurückhalten müssen. Aber auch das vergeht. Wir schaffen alles, dazu sind wir in diese Welt gekommen. Hab eine gute Zeit und bleib bitte gesund. Liebe Grüße vom Wurzerl
Was für eine schöne Geschichte, sie hilft mir gerade viel, danke dafür.
Danke, für Deine Gedanken, genau dafür habe ich mein Weihnachts-Herz in Worte gefasst. Es ist am Anfang sehr schwer, das Herz vom kalten Blei zu befreien und die Gedanken zu finden, die es wieder wärmen. Ich stand auch an diesem Anfang…