Huangshan 黄山
Was hat das Huangshan-Gebirge mit der chinesischen Tuschemalerei zu tun?
Für die alte Chinesische Geschichte, Kunst und Kultur hatte ich bereits als junge Frau ein großes Interesse. So betreibe ich seit 1990 Taijiquan, eine in China entwickelte Kampfkunst und beschäftigte mich einige Jahrzehnte lang mit der meditativen Chinesischen Tuschemalerei. (Info: keines der gezeigten, gemalten Bilder ist von mir!)
Ich bewunderte vor allem die alten chinesischen Meister. Auffallend fand ich, dass in Landschaftsdarstellungen häufig Berge mit Kiefern zu sehen waren. Immer ähnlich, handelte es sich dabei wohl um imaginäre Phantasie-Abbildungen. Schüler der Chinesischen Tusche-Malerei durften anfangs oft jahrelang nur die Tusche vorbereitend reiben, um danach dem ehrenwerten Meister bewundernd zuzusehen, bis sie das erste Mal selbst einen Pinselstrich auf das Seiden- oder Reispapier setzen durften. So wunderte ich mich nicht über die Ähnlichkeit der idealisierten Gebirgs-Darstellungen.
Als ich 1979 mit einer kleinen Gruppe um Dr. Heigert, damals Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, das erste Mal nach China reiste, bekam ich lediglich eine gefühlte Ewigkeit lang, vom Flugzeug aus das Himalaya-Gebirge von oben zu sehen. Peking, Shanghai, Xi’An, Kanton oder Suzhou liegen nicht im Gebirge und unser Hauptaugenmerk galt damals der Kunst, Kultur, Religion und dem Leben der Bevölkerung in Stadt und Land. Letztere Komponente war so kurz nach der Öffnung des Landes hin zum Westen besonders interessant.
Genau 30 Jahre später, erneut Mitte November, reiste ich ein zweites Mal nach China, dieses Mal mit hauptsächlich botanischem Schwerpunkt. Eines Tages passierte es. Plötzlich stand ich vor den Bergen, die ich immer wieder auf den alten Landschafts-Roll-Bildern bewundert hatte und die diesen auf den Pinselstrich haargenau glichen. Ich denke, bei den Bildbeispielen, die ich hier gezeigt habe, ist manchmal nicht auf den ersten Blick auszumachen, was ich als Ansicht von Büchern über die klassische, chinesische Landschaftsmalerei herausfotografiert habe und welche Fotos ich direkt im Huangshan gemacht habe.
Als ich, zuhause angekommen, anfing, meine Fotos mit den chinesischen Tuschebildern zu vergleichen, war ich so platt, dass mir eines sofort klar war – wenn ich das Huangshan Gebirge vorstelle, das tatsächlich der Idealtypus des “chinesischen Gebirges” zu sein scheint, so muss ich parallel dazu die chinesische Landschafts-Tuschemalerei ins Spiel bringen.
Unzählige chinesische Künstler befassten sich mit den “Gelben Bergen”. Die steilen, bizarren Felsen, die Nebelschwaden und Wolkenmeere und die sich in den unwirtlichsten, steilsten Felsen hineinkrallenden Kiefern sind ein einziges Landschaftsgemälde, das sich mit jedem Meter perspektivisch verändert. Wochen- ja monatelang kann sich die besondere Schönheit des Gebirges im Dauernebel verstecken. Dann wirken die bizarren Kiefern noch malerischer und geheimnisvoller.
Was für ein Fest, wenn der Himmel aufreißt und die charakteristischen Gipfel aus der Kiefern-Umrahmung heraustreten. So blieben viele Künstler hier und es entstand die “Huangshan-Kultur”. Die poetische Schönheit des Gebirges zog schon ab dem 8. Jhdt. Künstler, vor allem Maler und Dichter hierher, die das Gebirge mit dem Pinsel in Gemälden und Gedichten heraushoben. Fels-Schnitzereien an etwa 200 Felswänden, sind eine Besonderheit der chinesischen Kulturgeschichte, hier verschmilzt die chinesische Kunst mit der realen Landschaft erhöht zur Herrlichkeit des Huangshan Gebirges.
Ankommen
Nach den Besuchen einiger alter Wasserdörfer und der Gartenstadt Sozhou erreichen wir Tunxi in der Provinz Anhui. Von dort nehmen wir nur das Gepäck für eine Übernachtung mit. Auf der Fahrt zum Fuße des Gebirges beten meine Reisegefährten und ich, dass wir nicht, wie so Viele vor uns, die Berge eingehüllt von Wolken und Nebel, lediglich erahnen können. Eisige, verregnete und völlig vernebelte Tage sind hier häufig die Normalität.
Bambuswald aus Phyllostachys edulis, im Huangshan – Malus halliana, beliebter Apfel für die Bonsaigestaltung – Pinus hwangshanensis, gelbe Bergkiefer in höheren Lagen
Das Wetter sieht nicht gut aus! So nutzen wir wenigstens die relativ gute Nahsicht, um gleich ein wenig auf dem Weg zur Seilbahn und später oben auf der Wanderung zum Hotel etwas zu botanisieren. Am Gebirgsfuß breitet sich ein geschlossener Bambusgürtel, hauptsächlich aus Phyllostachys edulis (Syn. P. pubescens) aus. Diese Art kommt bereits in der Enddicke aus dem Erdboden heraus und erreicht seine Gesamthöhe innerhalb des ersten Jahres. Je höher wir kommen, übernehmen mehr und mehr die berühmten Kiefern des Huang Shan das Regiment. Beide Pflanzen spielen in der Chinesischen Tuschemalerei eine große Rolle. So gab es chinesische Alte Meister, die über Jahrzehnte, ein Leben lang, nichts anderes malten als Bambus! Die knorrigen Kiefern dagegen sind unverzichtbar mit der Landschafts-Malerei und dem Gebirge verbunden. Sie begegnen mir in den zwei Tagen im Huangshan auch immer wieder.
Callicarpa bodinieri, Liebesperlenstrauch zwischen Phyllostachis edulis – Lastenträger mit Reissäcken für das Hotel – Rinde von Cornus kousa var. chinensis, chinesischer Blüten-Hartriegel
Das Huangshan Gebirge gehört zu den fünf berühmtesten Gebirgen Chinas. Von den insgesamt 72 Gipfeln erhebt sich der Lotosblütengipfel, Liánhuāfēng, mit 1864 m, am höchsten über den Meeresspiegel. Seit 1990 gehört der Huangshan zum Welt-Natur- und Welt-Kultur-Erbe der UNESCO. Im Naturpark, der sich über etwa 154 qkm ausbreitet, zählte man seinerzeit fast 1500 verschiedene Pflanzen und mehr als 500 Tierarten.
Auch für ungeübte Berg-Geher sind die Wanderwege, zwischen den teilweise fast senkrecht abfallenden Berghängen, gut ausgebaut, meist handelt es sich um breite, flache Betonstufen. Diese werden auch von Lastenträgern genutzt, die, wie auf dem Foto zu sehen, zum Beispiel Reissäcke zu den Hotels nach oben bringen. Obwohl es mehrere Seilbahnen gibt, werden diese nur für den Personentransport genutzt. Fernseher, Zement, Gasflaschen und Lebensmittel werden mühsam zu Fuß hinaufgeschleppt.
Für Touristen, ein Großteil stammt tatsächlich aus China, gibt es mehrere Möglichkeiten, eines der Berg-Hotels zu erreichen. Wer muss oder möchte, kann sich auch mit einer Sänfte tragen lassen. Am Vorplatz des Beihai Hotels, in dem ich die nächste Nacht verbringen werde, sehe ich zum ersten Mal “Liebesschlösser”! Inzwischen ist diese Sitte auch längst in Europa angekommen. In meinem Hotelzimmer erwartet mich ein knallroter dick wattierter Anorak!
Exkursion im Huangshan
Alle derart ausgerüstet, marschieren wir am nächsten Morgen los. Hach, denke ich, so kann wenigstens keiner von uns im Nebel verloren gehen. Denn genau davon haben wir reichlich. Einen Vorteil gibt es allerdings, der Blick, gebremst durch das weiße, waberige Nichts, konzentriert sich auf den Nahbereich. Und da gibt es interessantes zu sehen.
Sasaella ramosa, Syn. Pleioblastus viridistriatus ‘Vagans’ Bambus – herbstlicher Grashorst – Rhododendron unter Pinus
Viele der Gehölze kenne ich aus unseren Gärten, leider ist das Jahr schon so weit fortgeschritten, dass Daphne, Hamamelis, Magnolie, Hydrangea, Aralia, Deutzia, Cornus, Rhus oder Eleagnus schon das Laub abgeworfen haben. Sträucher, wie den Liebesperlenstrauch und viele Immergrüne kann ich natürlich auch jetzt noch zuordnen. Die meisten Stauden haben sich schon zur Winterruhe ins Erdreich zurückgezogen. Dadurch kommt der oft ziegelrote Kiefernnadel-Boden noch beeindruckender zur Geltung.
Ich habe durch die fehlende Fernwirkung keinerlei Einschätzung, wo wir uns gerade befinden. Dabei haben die sechs Landschafts-Gebiete im Huangshan so malerische Namen wie: “Jadewandschirm, Wolkental, Fischbrücke, Heiße Quellen, Nordsee, und Kieferntal”. Wie gerne würde ich jetzt einen der drei Himmelssöhne-Gipfel sehen, mit einer Höhe von über 1800 m überragen sie alle anderen Berge hier.
Leider tasten wir uns immer noch in einer Nebelsuppe weiter. Die Luft ist nasskalt und wir sind froh über unsere wattierten Anoraks. Erwärmend klingen momentan nur die malerischen Bezeichnungen der Felsen, die wir allerdings nicht sehen. Mehr als 120 von ihnen tragen einen eigenen Namen. Sie klingen poetisch wie eine Gedicht-Zeile: “Eichhörnchen springen über den Tiandu-Gipfel”, “Affen blicken auf das Meer”, “Goldene Hähne krähen zum Himmelstor” oder schlicht “Wolkenmeer”.
Als wir in den Bereich der ersten Kiefern-Methusalem kommen, konzentriere ich mich ganz auf die Chinesische Kiefer, die im Huangshan die Höhen dominiert. Einige zehntausend Bäume sind bereits über hundert Jahre alt. Ihr starker, sperriger Charakter ist in diesem Alter bereits beeindruckend entwickelt. Menschliche Phantasien gaben den Bäumen besondere Namen, wie: “Gästebegrüßungs-Kiefern”. Diese gelten als botanisches Symbol des Huangshan-Gebirges.
Einzelne Methusalem, wie die Kiefer “Heihusong” sind zum Schutz eingezäunt, oder wenn sie an einer unzugänglichen Stelle stehen, weist wenigstens ein Schild auf sie hin. Die ältesten Bäume im Gebirge zählen tatsächlich ein Alter von 1000 Jahren oder mehr. Jeder dieser Bäume besitzt einen eigenen (Alten-)Pfleger. Während ich die Höhen und Altersangaben dieser großartigen Solitäre studiere, ändert sich plötzlich mein Umfeld. Die Sicht wird weiter, der Nebel steigt ins Tal, Gipfel in der Nähe werden endlich zum Teil sichtbar. Das wabernde Grau über mir wird heller und heller, es reißt auf!!!
Während ich ehrfürchtig vor der Kiefer “Tuanjiesong” stehe und meine Kamera die vereisten Nadeln heranzoomt, entdecke ich im Objektiv, dass zwischen den Nadeln der Himmel aufblaut. Endlich sehe ich, wie sich diese Bäume wie Perlen die steilsten Hänge hinaufreihen. Schaut man auf die schroffen Steine und Felsklippen, oder in die steilen Abhänge, dann scheint es unglaublich, dass dort überhaupt Baum-Leben entstehen kann. Trotzdem sind die Kiefern des Huangshan an den unwirtlichsten Stellen zu finden. Die besonderen Formen der gelben Bergkiefer sind durch das Habitat vorgegeben. Es gibt kaum Erde, vor allem in den letzten hundert Höhenmetern der Gipfel. Sobald eine Kiefer keimt wächst die Wurzel oft in mehrfacher Stammlänge!!! in das Berg-Innere. Damit krallt sich der Baum einerseits fest und entwickelt seine bizarren, charakteristischen Formen, andererseits holt sich die Wurzel so Wasser aus den Felsspalten und ist imstande, aus dem Granit Stickstoff, Phosphor und Kalium aufzunehmen.
Der Gelbe Kaiser
Ursprünglich hieß das Gebirge nach dem dunklen Granit-Gestein “Yishan”, also nicht Gelbes Gebirge sondern Schwarze Berge. Eine Legende über Kaiser Xuanyuan, dem Vorfahren der Chinesischen Kaiser-Dynastien, führte zur Umbenennung in den heutigen Namen Huangshan und das begab sich folgendermaßen:
Nachdem der Gelbe Kaiser, Xuanyuan, mehr als 100 Jahre lang das Land regiert hatte, übergab er es an den jüngeren Shao Hao, aber er war lebensbejahend und wollte keinesfalls sterben. Von taoistischen Lehrern begleitet, erlernte er den Umgang mit der Alchemie, um ewig zu leben. Damit sich die Kraft der Alchemie entfalten konnte, musste der Gelbe Kaiser eine idyllische Landschaft mit Gebirge und Wasser finden.
Nach einer langen Reise kreuz und quer durch China erreichten Xuanyuan und seine Lehrer das Gebirge Yishan. Die Gipfel erklimmen den Himmel, die Wolken schweben an Seidenfäden in die Gebirgstäler, heiße Quellen nebeln ihnen entgegen. Ein guter Ort für die Alchemie des Gelben Kaisers, um die Unsterblichkeit zu erreichen.
Lange Zeit arbeiteten die Drei an der Herstellung der glänzenden, schwarzen Pille “Jiu-Zhuan-Huan”. Nach 480 Jahren war es soweit. Der Gelbe Kaiser nahm sie ein und fühlte sich sofort jung und leicht – er begann zu schweben und zu fliegen. Bart und Haare wieder schwarz geworden, brauchte er nur noch in den Roten Bach zu steigen, 7 Tage und Nächte im warmen Dampf zu bleiben, und schon waren auch die Falten verschwunden. So wandelte sich der Gelbe Kaiser vom Menschen zu einem unsterblichen Gott. Da diese Begebenheit in den Schwarzen Bergen geschehen war, nannte man den Yishan ab diesem Zeitpunkt Huangshan, “Gelbes Gebirge”, nach seinem Gelben Kaiser. Ich liebe Legenden, trotzdem suchte ich nicht nach dem Roten Bach. Wer will in der heutigen Zeit schon ewig leben?
Es ist Zeit Abschied zu nehmen, von diesem Berg-Kiefern-Wolken-Paradies, dem Traum der Chinesischen Alten Landschaftsmaler, ja und auch von meinem Traum. Der rote Anorak bleibt im Hotel. Die Seilbahn bringt uns zurück in die Gegenwart. Auf uns wartet die Stadt Tunxi und ein Besuch der Anhui-Oper.
Beihai Hotel, Huangshan District, Huangshan, China, 245801
3 Kommentare
Liebe Renate,
das sind trotz des Nebels eindrucksvolle Bilder und die Tuschezeichnungen sind deinen Originalfotos tatsächlich erstaunlich ähnlich. Die roten Anoracks: da hat man aber praktisch gedacht!
Ich hätte nicht vermutet, dass die Liebesschlösser ein Import aus China sind!
Ich wünsche dir ein schönes zweites Adventswochenende! Liebe Grüße
Susanna
Liebe Susanna, ich weiß nicht, ob die Chinesen sie erfunden haben, ich sah sie dort halt das erste Mal, lange bevor ich sie in Europa entdeckte. Ich wünsche Dir auch ein schönes weiteres Adventwochenende. LG Wurzerl
Wirklich sagenhafte Fotos einer traumhaften Landschaft – echt wie gemalt!
VG
Elke