Besuch am 27.08.2018
Die Historie von Scotney Castle
Scotney Castle in Kent ist sowohl ein Herrenhaus, das mit am höchsten Punkt des hügeligen Geländes liegt und 1843 fertiggestellt wurde, als auch eine alte Wasserburg im tiefer gelegenen Bereich, die um 1380 gebaut worden war.
Schon seit dem frühen 18. Jahrhundert hatten britische Landschaftsgärtner Parks geschaffen, die von Gemälden inspiriert waren. Aber ab ca.1800 wurde die Kritik an den manchmal mehr künstlich, denn künstlerisch wirkenden Rasenflächen und Baumgruppen in den Parks, die Capability Brown und seine “Jünger” entworfen hatten, immer lauter. Zum besseren Verständnis des Unterschiedes werde ich als nächsten “British Garden” den “Sheffield Park” vorstellen, der von Capability Brown angelegt worden war.
Scotney’s malerischer Garten mit seinem pittoresken Landschaftsstil war einer der Versuche, den englischen Landschaftsgarten weiter nach vorne zu bringen. So wurde von 1837 – 1855 der Park im “Natural landscaping”-Stil angelegt. Den Auftrag zur Inszenierung dieser Landschaft bekam William Sawrey Gilpin (1724 – 1804). William S.G. war der Schüler und Neffe des Geistlichen William Gilpin, der die ästhetische Theorie des “Pittoresken” begründet hatte.So ließ Gilpin Teile der alten Wasserburg niederreißen, um neben dem bewohnbaren Hausteil eine beeindruckende Ruine zu schaffen, die, von Glyzinien und Rosen romantisch eingerahmt, perfekt in die Gesamtinszenierung passte.
Die Spazierwege den Hang hinunter führen an lockeren Baumbeständen oder altehrwürdigen Gehölz-Solitären vorbei. Dabei wurde immer großer Wert auf freie Ausblicke in die unteren Gartenbereiche und die dahinter liegende Landschaft gelegt. Erst 2018 wurden in einer großen Aktion riesige Rhododendren wieder zurückgenommen und die “Vistas” am Graben erneut ausgeschnitten. Scotney war und blieb übrigens Gilpins wichtigste Gartenplanung.
In der ersten urkundlichen Erwähnung des Hauses wurde 1137 Lambert de Scoteni als Besitzer genannt. Nach dieser namensgebenden Familie gehörte das Anwesen der Familie Darell. Obwohl Thomas Darell ein katholischer Rekusant war, der zwischen 1591 – 98 den Jesuitenpater Richard Blount in seiner Burg versteckt hatte, gelang es der Familie, ca. 350 Jahre lang, die Burg in Familienbesitz zu behalten. (Der Pater war beim 2. Versuch der Behörden, ihn zu fassen, über den Wassergraben hinweg entkommen.)
1778 erwarb Edward Hussey das Grundstück und sein Enkel (auch Edward genannt) ließ oben die “Neue Burg” nach Plänen von Anthony Salvin bauen. Nicht einmal 200 m vom Haus entfernt ist der Steinbruch, der die schönen Sandsteine für den “Neubau” auf der Hügelkuppe geliefert hat. Als ich mich umwende leuchten die Steine warm in der Sonne auf. Das Parterre an der Südseite des Hauses ist schlicht gehalten. Der Brunnen, mit dem Kätzchen, das seit langen Jahrzehnten vergeblich versucht an den Fisch zu kommen, liegt zwischen dem Haus und der Balustrade, von der man einen herrlichen Überblick über Garten und Landschaft hat. Ein gelungener Schachzug ist, wie ich meine, dass man die Aussicht nicht mit Blumenbeeten überfrachtet hat. Der englische Landschaftsgarten ist der Star, dem die uneingeschränkte Bewunderung des Betrachters gebührt. Nach dem Tod Christopher Husseys 1970 ging das Anwesen an den National Trust über, der einige Wohnungen im Haus vermietet. Auch Margret Thatcher hat sich hier zeitweise von ihren Regierungsgeschäften ausgeruht und in der “Belfry-Flat” residiert.
Der Spaziergang durch den Garten beginnt: “Vom Steinbruch bis zur Wasserburg”
Als ich mich vorne über die Balustrade beuge, kann ich direkt unter mir den Steinbruch erkennen. Seine Wunden sind längst zugewachsen. In genau dieses wogende grüne Blättermeer möchte ich jetzt eintauchen.
Der Steinbruch ist eine Abkürzung nach unten, aber ich muss auf den Weg achten und gehe die steilen Stufen langsam abwärts. Wer hier laufen will, muss trittsicher sein. Der Blick weit über das Tal hinweg und die nächste Hügelkette hinauf ist wunderschön. Aber schnell sehe ich, dass ich hier auch auf die Kleinigkeiten am Boden und vor meiner Nase achten muss, denn dieser Steinbruch-Garten ist etwas besonderes. Gentiana asclepiadea, den blauen Schwalbenwurz-Enzian und seine weiße ‘Alba’ Form finde ich an mehreren helleren Standorten im Steinbruch.
Farn und Aronstab haben sich erfolgreich zwischen dem Giersch durchgekämpft. Zwischen den Hortensien und Rhododendren im Steilhang gibt es viele Pflanz-Nischen für Begleit-Stauden.
Die herbstblühenden Cyclamen hederifolium (Zwerg-Herbst-Alpenveilchen) sitzen hinter den Farnen. Das längst verblühte Salomonssiegel beugt sich wie beschützend von hinten über die kleinen Geophyten.
Im Steinbruch kann man nicht nur botanische Raritäten entdecken, sondern auch einen etwa 100 Millionen Jahre alten Fußabdruck eines Dinosauriers. Da im unteren Teil des Steinbruchs die Rhododendren so hoch gewachsen waren, dass die “Vistas” sowohl nach oben, als auch nach unten zuwuchsen, sind sie 2018 nach der Blüte stark eingekürzt worden. Dabei wurde sicher auch der “Dinosaurier-Tritt” wieder etwas “entkrautet”.
Das letzte Drittel des Abstiegs befinde ich mich auf einem sonnigen Hang mit viel Wiesenanteil und einigen wenigen Gehölz-Inseln. Dort finde ich eine interessante Pflanzengemeinschaft von Verbena bonariensis, weißen Skabiosen, braunen Phlomis-Samenständen und gelber Kniphofia. Ganz schlau werde ich nicht aus dieser spontan wirkenden Pflanzung, die plötzlich aus dem Nichts heraus neben dem Weg auftaucht. Vielleicht ist es ein erster Versuch, den Insekten mit passenden Stauden näher zu kommen und auch im Spätsommer, wenn die einheimischen Wiesen mehr oder weniger abgeblüht sind, den Tisch zu decken?
Unten angekommen sehe ich die Gehölze dichter stehen. Hier breitet sich ein großzügiger, schmaler Gehölz-Ring aus, der auf der Rückseite in ein großflächiges Arboretum übergeht. Es wird schattiger und kühler, der kleine Farn und das Moos sind deutliche Anzeichen dafür, dass es im Tal doch eine gewaltige Feuchtigkeit gibt.
Diese Erkenntnis gibt mir sofort ein Verständnis für den Burg-Neubau oben in der Sonne auf der Hügelkuppe.
Völlig frei kann sich dieser kleine Graben hier fühlen, alles ist so natürlich, dass es eine Freude ist, durch diesen Landschaftsgarten zu wandern. Ich fühle mich, als wäre ich mitten in einem Landschafts-Schutzgebiet, so behutsam sind hier die Eingriffe der Gärtner.
Auf dem großen Plan oben am Eingang kann man deutlich erst den schmalen Gehölz-Gürtel und dann einen großen Wassergraben erkennen, der die beiden Inseln der alten Burg umschließt. Wo sich schneeweiße Birken, Betula utilis var. jacquemontii und Mammutblatt, Gunnera manicata zusammenfinden, da kann dieser große Wassergraben der alten Burg wohl nicht mehr weit sein?
Plötzlich geben die Rhododendren und Birken den Blick frei. Von der alten Steinbrücke aus bietet sich mir eine Symphonie in allen erdenklichen Grün-Tönen. Wie schön! Während links das Tafelblatt, Astilboides tabularis schon langsam herbstlich errötet, steht das Hechtkraut, Pontederia cordata gegenüber noch in voller Blüte, was das Mammutblatt dahinter gleich einen Tick blauer erscheinen lässt. Dahinter türmen sich alte Rhododendren vor der Baum-Kulisse auf.
Da sich der Wassergraben in einem großen Oval um die zwei Inseln legt, gibt es praktisch alle paar Meter neue faszinierende Blicke auf die herrliche Ufervegetation. Für den Journalisten und Architektur-Kritiker Christopher Hussey war Scotney eine einzige Inspirations-Quelle. Viele neuere Pflanzungen von Rhododendren und Azaleen gehen auf seine Initiative zurück. Im 20. Jh. hatte sich die “Garten-Mode” zwar völlig gewandelt, aber Husseys Buch: “The Picturesque, Studies in a Point of View” war der Auslöser für die Wiederentdeckung des Pittoresken.
Mehrfach wurden in dieser grünen Naturkulisse Vorstellungen von Shakespeare-Komödien aufgezeichnet. Dabei kamen die Schauspieler einfach hinter den Büschen hervor, um dann in immer neuen “Kulissen” zu agieren. Das ist übrigens keine neue Idee eines pfiffigen Regisseurs gewesen, sondern die ursprüngliche Tradition, seit es Shakespeare-Komödien gibt. Die Shakespeare-Bühnen waren die Parks und Gärten der Reichen im britischen Königreich.
Ich bin auf der Höhe der ersten kleineren Insel angekommen, wo sich ein altes Bootshaus halb im Wasser befindet. Dann blitzt der südlich gelegene Turm der Wasserburg durch die Uferbepflanzung hindurch.
Die Insel mit der alten Wasserburg
Als der Blick von den Gehölzen ganz freigegeben wird, stehe ich beeindruckt vor dem Graben und sehe die alte Burg-Anlage vor mir. Eigentlich sollte sie ein rechteckiges Gebäude mit 4 Ecktürmen werden. Aber das wurde offenbar nie realisiert, so dass ab 1558 nur der Süd-Turm stand. 1580 wurde der Südflügel neu im elisabethanischen Stil dazu gebaut und bis 1905 blieb er später die Wohnung des Gutsverwalters. Der Ostteil wurde um 1630 im Stil von Inigo Jones dreistöckig erneuert. 1843, als das neue Haus fertiggestellt war, riss man es teilweise ein, so dass die heutige Ruine als “Folly” übrig blieb.
Interessant finde ich beim Näherkommen, dass links vom Turm plötzlich das neue Herrenhaus oben zu sehen ist. Was für eine interessante Kommunikation mag wohl zwischen diesen beiden Gemäuern, die aus dem gleichen Stein erbaut wurden, hin- und hergehen?
Als ich den Vorplatz betrete, gehe ich direkt auf den “ruin”ierten Ostflügel zu. Was für ein malerischer Anblick! Möglicherweise gab es in den früheren kriegerischen Zeiten Britanniens eine Mauer zwischen dem Wassergraben und dem Gelände der alten Wasserburg. Letzte Bogen-Fragmente sind längst von Efeu und anderen Lianen überwuchert worden. Die Cleome hassleriana, Spinnenblume und Verbena bonariensis wirken heiter und gelassen. Der weiße Ziertabak,Nicotiana und Fetthennen, Hylotelephium bringen weitere Farbtupfer in das heitere Spiel.
Eine schöne Stauden-Gesellschaft hat sich gleich daneben eingefunden. Echinacea, der Schein-Sonnenhut, Helenium, die Sonnenbraut, Euphorbien und einiges mehr, blühen einträchtig zusammen.
Sehr schön ist diese alte Steinmetz-Arbeit eines Säulen-Kapitells im korinthischen Stil, erkennbar an der aufwendigen Verzierung mit Akanthus-Blättern, zwischen die das alte Familienwappen eingearbeitet wurde. Das schlichte Grau wird rundum von den Fenchel-Blüten angeleuchtet.
Um das Rondell und die hintere Bepflanzung besser überblicken zu können, steige ich die Innen-Treppe zur Behausung des Verwalters hoch.
Anschließend gehe ich um das Gebäude herum in den früheren kleinen Insel-Garten. Die alte Eiche vor dem Graben reckt sich mächtig in den Himmel. Auch wenn man ihr mehrere hundert Jahre ansehen kann und es so einiges Totholz an den Astenden gibt, so traut man ihr durchaus noch ein weiteres langes Leben zu.
Als ich in die Nähe der Ruine komme, öffnet sich das Mauer-Geviert und gibt den Blick in den ehemaligen Ostflügel der Burg frei. Ein rosafarbenes Meer von Herbstanemonen lockt mich hineinzugehen. Als ich eintrete bin ich wie verzaubert, Stauden und Kletterpflanzen haben das Gemäuer erobert und die alte Eiche winkt freundlich von außen in diese Szenerie. Es würde mich jetzt nicht wundern, wenn plötzlich eine “gute Fee” um die Ecke kommen würde. Aber es wäre umsonst, denn ich bin hier “wunsch”los glücklich.
Kann man sich eine romantischere Kulisse als diesen kleinen Innenhof der Ruine vorstellen? Stundenlang könnte ich hier so verharren, wie die kleine Ente, die draußen auf der Wiese Siesta macht. Wie ein kleiner Punkt ist sie durch die Quadrat-Öffnung zu erkennen, aber ihre souveräne Ruhe strahlt bis zu mir und ich vergesse die Zeit. Aber ich muss mich hier losreißen, die Zeit läuft mir schon wieder davon.
Diesmal gehe ich direkt am Bootshaus vorbei. Ich nehme die Beine in die Hand und laufe den Hügel, diesmal am Hauptweg bequem nach oben, denn ich möchte unbedingt noch auf die andere Seite der Burg in den “Walled Garden” gehen. Aber natürlich werfe ich am Ende des Burggrabens noch einen letzten Blick zurück. Ich verstehe die Familie Hussey, die sich lieber oben neu angesiedelt hat, weil es hier unten einfach kalt und vor allem sehr feucht, auch im Haus, ist.
Von der alten Wasserburg zurück zum neuen Herrenhaus und dem Küchengarten
Auf der Eingangsseite der neuen “Burg” gibt es mehrere Wirtschaftsgebäude. Während die meisten unserer Gruppe im Restaurant eine Kleinigkeit gegessen haben, oder sich die Pflanzen und Geschenkartikel im Shop angesehen haben, bin ich in dieser märchenhaften Wasserburg hängengeblieben. Auch jetzt nehme ich mir keine Zeit zum Essen, sondern gehe stracks an der Kirche vorbei, über den großen Parkplatz, noch ein Stück weit nach oben zum ummauerten Küchengarten.
Ach wie nett, so geht es also auch!
Geschafft, ich stehe im Küchengarten von Scotney, der noch einen Tick höher liegt, als das Haus. Die Dahlien haben ihren Blüh-Höhepunkt erreicht. Das Spalierobst an der Mauer ist bereits abgeerntet worden.
Das nächste Foto zeige ich nicht wegen der leuchtenden Kürbisse. Nein, auch nicht wegen des freundlichen ‘Gardeners’, es geht um das Vehikel, das da vor sich hinrostet, was könnte es darstellen?
Richtig, es ist tatsächlich ein fahrbares Wasserfass, Gartenschlauch, Gießkanne, natürlich auch Düngerbrühen-Behälter, was immer man gerade brauchte. Die Briten pflegen ihre Traditionen und darum kann man immer wieder in den Gärten solche alten Vehikel und andere ausrangierte Garten-Geräte bestaunen.
Unpünktlich möchte ich keinesfalls sein, also schnell noch ein letztes Bild von dem dekorativen, stahlblauen Echinops ritro, Edeldistel mit den goldenen Foenicula, Fenchelblüten fotografiert und mit diesem letzten Eindruck verlasse ich Scotney Castle.
Scotney Castle – Kent, Lamberhurst, Tunbridge Wells TN3 8JN, 8 ha, “sehr natürlicher Landschaftspark (NT), Hänge und Steinbruch-Garten bringen Bewegung in den Park, großer Graben mit 2 Inseln (1 mit Bootshaus, 1 mit pittoresker Wasser-Burg, ummauerter Küchengarten)” Kontakt: Tel. 0044/1892/891081
2 Kommentare
Ein schöner Bericht, Wurzerl 🙂 ! Es ist eine Weile her, daß ich das letzte Mal dort war, aber Deine Bilder haben mir vieles wieder gut in Erinnerung gebracht. Außerdem habe ich einen Türklopfer in Form eines Spatens aus dem dortigen Shop an der Haustür 🙂 .
Liebe Grüße, CR
Liebe CR,
ja, Großbritannien!!! Das musste ja eine eigene Spalte werden, sonst wären die internationalen, weltweiten Gärten ja total zu kurz gekommen. Du verstehst das natürlich, lach. Es freut mich sehr, dass Dir der Bericht zusagt und wenn Du Nyman’s noch nicht kennen solltest, solltest Du das dringend einplanen, wenn Du wieder nach England düst. Es ist für mich einer der absolut spannendsten Gärten in Great Britain. Hast Du nicht auch Lust bei der Verlosung des Wabi Sabi Buches mitzumachen? Ich glaube das ist auch genau Dein Gartenstil?! Bis Sonntag Mittag um 12 Uhr geht die Teilnahme noch. Am Nachmittag wird die Glücksfee Annette Lepple in den Lostopf greifen.
Jedenfalls habe ich mich sehr gefreut, dass ich wieder einmal von Dir hörte und hoffe sehr, dass es Dir und Family gut geht?!
Ein schönes Wochenende wünsche ich Euch
Wurzerl